Credit Taking

Fast jede Führungskraft hat es schon erlebt oder (wenn wir ehrlich sind) vielleicht sogar selbst getan: In Meetings, bei Präsentationen oder gegenüber der eigenen Vorgesetzten werden Projekterfolge so dargestellt, als seien sie die eigene Leistung – obwohl sie in Wirklichkeit dem Team, einer Einzelperson oder einer anderen Abteilung zu verdanken sind. Dieses Verhalten heißt in der Organisationspsychologie "Credit Taking".

Was ist Credit Taking?

Credit Taking bezeichnet das Zuschreiben von Erfolgen an sich selbst, obwohl andere die Hauptarbeit geleistet haben. Dabei geht es nicht um offenes Plagiat, sondern um subtile Vereinnahmung, etwa durch:

  • Das Verschweigen der eigentlichen Leistungsträger

  • Die Betonung der eigenen "Steuerung" oder "Führung" des Projekts

  • Aktives Umlenken der Aufmerksamkeit auf die eigene Person

In der Forschung wird dieses Verhalten als Form des "Impression Managements" klassifiziert – ein bewusster Versuch, das eigene Image zu verbessern. Studien zeigen, dass es besonders in kompetitiven Kulturen und hierarchischen Strukturen häufig auftritt.

Formen und folgen

Was oft wie kluges Selbstmarketing erscheint, kann langfristig zum Vertrauensbruch werden – mit gravierenden Folgen:

  • Verlust von Motivation bei den wahren Leistungsträgern

  • Reduzierte Innovationsbereitschaft, weil gute Ideen „abgefischt“ werden

  • Erhöhte Fluktuation talentierter Mitarbeitender

  • Langfristiger Imageschaden für Führungskräfte, wenn das Team sich abwendet

  • Kollaps von Teamkultur, weil Leistung nicht mehr mit Anerkennung gekoppelt ist

Umfragen unter Büroangestellten bestätigen diese Wahrnehmung. In einer globalen Erhebung von Kickresume (2023) nannten 85 % der Befragten Kredit-Diebstahl als besonders ärgerliches Verhalten von Kolleg:innen – noch vor Tratsch oder mangelnder Teamfähigkeit. Eine Studie von BambooHR identifizierte „Ideenklau durch Vorgesetzte“ als die meistgehasste Management-Eigenschaft überhaupt.

Studienlage: Was Credit Taking im Team anrichtet

Eine Studie von O'Reilly & Robinson (2013, Journal of Applied Psychology) zeigt:

Teams, in denen Credit Taking durch Führungskräfte vorkommt, berichten signifikant häufiger von Demotivation, Rückzug aus Verantwortung und innerer Kündigung.

Weitere Erkenntnisse:

  • Laut einer Harvard Business Review Analyse (2017) führt Credit Taking zu einem Rückgang bei Innovationsvorschlägen, weil Mitarbeitende das Risiko scheuen, dass ihre Ideen "abgefischt" werden.

  • Die Deloitte Human Capital Trends (2023) betonen: Vertrauen ist der zentrale Faktor für Resilienz und Engagement in Teams. Fehlende Anerkennung zählt zu den Top 3-Kündigungsgründen bei High Potentials.

  • Eine neue Studie von Siyuan Chen (Beijing Jiaotong University) zeigt, dass in einem chinesischen Industriebetrieb Credit Taking durch Führungskräfte direkt mit einer sinkenden Arbeitsleistung der Belegschaft korrelierte.

Praxisbeispiel: Wenn der Chef mit fremden Federn fliegt

Laura, Projektmanagerin in einem mittelständischen Unternehmen, entwickelt in Eigeninitiative ein Dashboard zur Prozessoptimierung. Als es im Vorstand präsentiert wird, sagt ihr Vorgesetzter: „Wir haben da etwas sehr Effizientes entwickelt“ – ohne sie namentlich zu nennen oder sie einzubeziehen.

Ihre Folge: Keine Motivation mehr, über das Mindestmaß hinaus zu leisten. Ihre nächste Idee behält sie für sich.

Warum Führung anders geht: Echte Anerkennung statt Imagepflege

Reflektierte Führung bedeutet, sich bewusst mit der Frage auseinanderzusetzen: Was brauche ich wirklich, um als gute Führungskraft wahrgenommen zu werden?

Die Antwort liegt nicht in der Aneignung fremder Leistungen, sondern in der Fähigkeit, andere groß zu machen:

  • Sichtbarmachung der Leistungen anderer: Wer Kolleg:innen oder Mitarbeitende öffentlich würdigt, zeigt Größe und erzeugt Loyalität.

  • Transparente Attribution: Klare Aussagen wie „Das war die Idee von Maria“ oder „Hier hat das Team Außergewöhnliches geleistet“ schaffen Glaubwürdigkeit und Vorbildwirkung.

  • Delegation mit Ownership: Verantwortung weitergeben bedeutet auch, den Raum für Anerkennung mitzugeben.

  • Langfristige Reputationswirkung: Wer andere glänzen lässt, wird als strategischer Leader wahrgenommen – nicht als Egospieler.

Dabei lohnt sich auch ein Blick auf unbewusste Dynamiken: Psychologische Studien zur sogenannten Kryptomnesie zeigen, dass Menschen häufig unabsichtlich fremde Ideen als eigene erinnern. In Gruppensettings reproduzieren sie Lösungen, die sie bereits gehört haben – oft ohne es zu merken. Nicht jeder Fall von Credit Taking ist also vorsätzlich.

Zugleich gilt: Auch scheinbar harmlose Aneignung kann zurückfeuern. Forschungen von Rebecca Schaumberg (Wharton School) belegen, dass übertriebenes Feiern eines Erfolgs – besonders bei transparenten Leistungen – schnell als Grenze der Kompetenz wahrgenommen wird. Wer zu laut jubelt, wirkt weniger souverän.

Gegenstrategien: So schaffen Sie Vertrauen im Alltag

Vertrauen ist kein Zufallsprodukt. Es entsteht durch wiederholte, konkrete Signale. Hier einige erprobte Strategien für den Führungsalltag:

  • Feedback-Rituale einbauen: z. B. jede Woche im Teammeeting „Who made a difference this week?“ – Anerkennung wird Teil der Kultur.

  • Erfolge im Plural denken: Statt „Ich habe das entschieden“ lieber „Wir haben gemeinsam…“ – das fördert Zusammenhalt.

  • Mentoring statt Mikromanagement: Unterstützen Sie gezielt Entwicklung, ohne sich in den Vordergrund zu drängen.

  • 360°-Feedback regelmäßig nutzen: So erkennen Sie blinde Flecken im Eigen- und Fremdbild.

  • Belohnungssysteme überdenken: Fördern Sie Teamleistungen durch Boni, Events oder Projektkredits – nicht nur Einzelranking.

Im Zeitalter von KI

Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2025, durchgeführt von KPMG in Zusammenarbeit mit der University of Melbourne, liefert hochrelevante Einblicke in den Alltag von Wissensarbeit und KI-Nutzung. Befragt wurden über 48.000 Fachkräfte in 47 Ländern. Die Ergebnisse sind alarmierend – und hochaktuell für die Frage, wie wir im Unternehmen über Beiträge, Leistung und Verantwortung sprechen.

  • 57 % der Befragten verschweigen, dass sie KI für ihre Arbeit nutzen.

  • Nur 47 % haben jemals ein formelles KI-Training erhalten.

  • 66 % prüfen KI-Outputs nicht kritisch nach, obwohl diese regelmäßig verwendet werden.

  • 48 % geben vertrauliche Unternehmensdaten in öffentliche KI-Systeme ein – ohne Rücksprache oder Freigabe.

In dieser neuen Realität wird „Take Credit“ zu einem kulturellen Brennpunkt:
Wer sich nicht traut, den eigenen Beitrag transparent zu machen – etwa weil KI beteiligt war – untergräbt Vertrauen und Teamverantwortung. Gleichzeitig entsteht ein Dilemma: Wird KI-Einsatz öffentlich gemacht, droht soziale oder reputative Abwertung – obwohl der Output oft hochwertig ist.

Gerade deshalb wird heute sichtbare Verantwortung zur neuen Führungsqualität.
Es geht nicht um Ego, sondern um Integrität:

Wer erklärt, wie der eigene Beitrag entstanden ist – inklusive KI – schafft Klarheit, Vertrauen und Vorbildwirkung.

In der Ära von generativer KI braucht es nicht weniger Take Credit – sondern mehr Ehrlichkeit, Differenzierung und Mut zur Transparenz.

Credit Taking ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Risikofaktor für Kultur, Innovation und Zusammenhalt. Gute Führungskräfte sind keine Erfolgssammler, sondern Ermöglicher. Sie wissen: Wer groß rauskommen will, muss andere groß machen.

Persönliche erfahrungen: Zwischen Blendern und Unsichtbaren

Auch ich habe mit diesem Thema umfassende Erfahrungen gemacht.
In über 20 Jahren Arbeit mit Unternehmen – als Berater, Coach und Moderator von Veränderungsprozessen – habe ich Take Credit in all seinen Facetten erlebt:

  • Die Blender, die sich im Rampenlicht sonnen – unabhängig davon, ob sie selbst etwas beigetragen haben.
    Sie meistern die Kunst des politischen Framings: nennen sich „Projektlead“, wenn sie einmal im Call waren, oder setzen sich nachträglich auf Erfolgsgeschichten, die andere erarbeitet haben.

  • Die Mauler, die mit zynischem Ton alles schlechtreden – während sie gleichzeitig jeden kleinen Fortschritt zu ihrem persönlichen Sieg erklären.
    Typisch in Konzernen: PowerPoint-Krieger, die ihre Narrative bauen, während das Team im Maschinenraum kämpft.

  • Und dann gibt es noch die Unsichtbaren.
    Menschen mit hoher Fachkompetenz, klugen Ideen, echter Integrität – aber ohne den Drang, sich ins Zentrum zu stellen.
    Oft werden gerade sie übersehen, verlieren Einfluss oder resignieren, weil sie das Spiel nicht mitspielen wollen.

Ich habe erlebt, wie diese Dynamik Teams spaltet, Vertrauen zerstört – und Innovationsprojekte zum Erliegen bringt.

Doch ich habe auch das Gegenteil gesehen: Führungskräfte, die bewusst Credit geben statt nehmen. Teams, die Erfolge gemeinsam sichtbar machen. Kulturen, in denen „Ownership“ nicht nur ein Wort ist, sondern Haltung.

Dann wonders einem nicht diese Studio, die Anzahl der motivierten MitarbeiterInnen geht stetig zurück, alleine deshalb, weil sich viele nicht geschätzt fühlen .

In Zeiten von KI und hybriden Arbeitswelten wird Erfolg immer weniger sichtbar – und Verantwortung immer diffuser.
Umso wichtiger ist es, dass wir als Führungskräfte, Kolleg:innen und Kulturgestalter*innen dafür sorgen, dass Leistung anerkannt wird – nicht nur im Flurfunk, sondern öffentlich und nachvollziehbar.
Denn nur wer sichtbar ist, kann wirken.

Autor: Mag. Werner Sattlegger, Founder Art of Life

Quellen:

 

Autor: Werner Sattlegger
Founder & CEO Art of Life

Experte für digitale Entwicklungsprozesse, wo er europäische mittelständische Familien- und Industrie-unternehmen von der Komfort- in die Lernzone bringt. Leidenschaftlich gerne verbindet er Menschen und Unternehmen, liebt die Unsicherheit und das Unbekannte, vor allem bewegt ihn die Lust am Gestalten und an Entwicklung.